Seit dem 23. Februar 2022 hat sich viel verändert. Der Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine hat einerseits einen europäischen Traum zerstört, den vom Ende des Landkrieg-Zeitalters in der westlichen Welt. Das unermessliche Leid, das durch diesen Krieg in der Ukraine entsteht, beschäftigt viele von uns seelisch aber auch ganz konkret: Millionen haben Geld und Waren gespendet, Flüchtlinge aufgenommen oder sind gar persönlich mit Waffen in die Kriegsgebiete gezogen.
Die wirtschaftlichen Folgen sowohl der im Nachgang gegen Russland und Belarus verhängten Sanktionen als auch des wirtschaftlichen Stillstands in der Ukraine selbst treffen uns bereits jetzt, vieles wird aber noch durch volle Lager abgefedert. Wir haben uns an eine Welt gewöhnt, in der ein globalisierter Handel für Wohlstand v.a. bei uns aber auch wachsenden Wohlstand in ärmeren Ländern sorgt. Dabei haben sich einige Nationen stark spezialisiert, mit der Folge von gegenseitigen Abhängigkeiten. Die Ukraine ist weltweit der viertgrößte Exporteur von landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Mehr als 60% aller Sonnenblumenkerne, 50% des Sonnenblumenöls, 40% des Roggens, 20% des Rapsöls, jeweils gut 16% der Gerste und Maisexporte sowie 12% des Weizenhandels weltweit wird in der Ukraine angebaut. Sollte der Krieg noch einige Monate oder gar Jahre andauern, so dass Landwirte weder Aussaat noch Ernte vornehmen können, würde das zu Engpässen v.a. bei Ökofuttermitteln aber auch Preissteigerungen z.B. bei Mehl oder Pflanzenöl führen. Russland und Belarus wiederum sind neben den Öl- und Gasexporten für einen erheblichen Teil der Düngemittelerzeugung weltweit zuständig. Harnstoff, NPK, Ammoniak, Stickstoff, Kali, Phosphat, Schwefel etc. sind allesamt nicht einfach durch andere Lieferanten zu ersetzen.
All das kann auch bei uns die Ernährungssicherheit nachhaltig beeinflussen. Damit wir hier das gleiche Verständnis haben: Ernährungssicherheit bedeutet, dass ausreichend gesunde und nahrhafte Lebensmittel verfügbar (Angebot) und zugänglich (erschwinglich bzw. mit heimischen Einkommen bezahlbar) sind und dass diese Situation auf Dauer stabil ist. Wenn also Biobauern keine oder nur noch sehr viel teurere Futtermittel mehr bekämen, der Spritpreis für die Bewirtschaftung des Ackers immer weiter steigt und Düngemittel ebenfalls knapp würden, müssten wir entweder mehr importieren – da es aber globale Märkte sind, die alle betroffen wären, würden Lebensmittel schlicht insgesamt teurer. Angenehm ist die Vorstellung jedenfalls nicht.
Natürlich besteht aktuell kein Grund zur Panik – wir jammern insbesondere in Deutschland letztlich auf sehr hohem Niveau. Aber vielleicht ist die Situation auch ein Anstoß, neben der gebotenen Solidarität und Hilfestellungen für vom Krieg unmittelbar Betroffene auch unsere eigenen Strukturen zu überdenken. Modelle wie das der StadtFarm können ein wesentlicher Baustein dafür sein, dass wir unsere Ernährung dezentral und so lokal wie möglich erzeugen, ohne internationale Abhängigkeiten. Jeder einzelne von uns kann dazu beitragen: wer beim Landwirt aus der Region einkauft, senkt dessen Zwang, international zu vermarkten oder nur an den Großhandel zu verkaufen. In der Milchpreiskrise hat sich manch Landwirt dadurch über Wasser gehalten, dass 3% der Milch über Milchtankstellen direkt vermarktet wurden – das konnte ausreichen, um das Minus, das mit den über die Molkereien und den Lebensmitteleinzelhandel verkauften 97% gemacht wurde, auszugleichen. Verbraucher haben mehr Macht als sie glauben!
Bitte nicht falsch verstehen, es spricht absolut nichts gegen internationale Wirtschaftsbeziehungen. Doch bereits die Pandemie der letzten zwei Jahre hat gezeigt, wie fragil globale Logistikketten sind. Wenn wir es jetzt nicht lernen und „besser“ machen, vertun wir eine Chance. Think global, eat local.